Festsetzung der IUVENTA und strafrechtliche Verfolgung ihrer Crew
Im August 2017 wird eines der ersten zivilen Seenotrettungsschiffe konfisziert: Die IUVENTA der Organisation JUGEND RETTET e.V.. Ein Jahr später wird bekannt, dass außerdem gegen 10 ehemalige Crewmitglieder ermittelt wird. Auch nach drei Jahren gibt es noch kein Urteil - die Kampagnenarbeit wird 2020 vom Sea-Watch Rechtshilfefonds e.V. finanziell unterstützt.
Am 3. Oktober 2015 wurde der Verein JUGEND RETTET e.V. als Netzwerk junger Menschen mit dem Ziel gegründet, “der humanitären Katastrophe auf dem Mittelmeer und dem kollektiven politischen Versagen an den europäischen Außengrenzen entgegenzuwirken”. Dessen Seenotrettungsschiff, die IUVENTA, hat zwischen August 2016 und August 2017 in insgesamt 16 Rettungseinsätzen über 23.000 Menschen im Mittelmeer gerettet.
Am 1. August 2017 beorderte die italienische Seenotrettungsleitstelle die IUVENTA nach Lampedusa, wo sie von den italienischen Behörden “präventiv” beschlagnahmt wurde. Nach Angaben der italienischen Behörden handelte es sich dabei um eine Vorsichtsmaßnahme, um eine mögliche künftige Nutzung des Schiffes für kriminelle Zwecke zu verhindern. Am Vortag hatte sich die Organisation geweigert, den Verhaltenskodex der italienischen Regierung zu unterzeichnen, welcher im besten Fall ihre Verpflichtungen wiederholt und im schlimmsten Fall ihre humanitäre Arbeit gefährdet hätte. Ein Jahr später, im Juli 2018, wurde bekannt, dass die italienische Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen auf zehn ehemalige Besatzungsmitglieder der Organisation ausgeweitet hat.
Die Betroffenen hätten sich angeblich der Beihilfe zur illegalen Einwanderung schuldig gemacht und ihnen wird unterstellt, in drei Rettungsmissionen mit Schleusern kooperiert zu haben. Die Beweislage ist dünn; die Angeklagten leugnen diese Unterstellungen und eine Analyse der Sachverhalte durch Forensic Architectures und Forensic Oceanography liefert Beweise für die Unschuld der Crew und der Organisation.
Die IUVENTA war eines der ersten zivilen Seenotrettungsschiffe, das beschlagnahmt wurde, viele andere folgten. Diese juristischen Maßnahmen gegen die NGO und direkt gegen ihre Besatzungsmitglieder markieren somit den Beginn der Kriminalisierung der Seenotrettung als politisches Kalkül zur Abschottung Europas. Nach mehr als drei Jahren wurden die Ermittlungen gegen die Seenotretter endlich eingestellt. Die Anklage gegen sie wurde am 4. März 2021 erhoben. Den Angeklagten drohen Haftstrafen von bis zu 20 Jahren.
Im Jahr 2020 gab der Sea-Watch Rechtshilfefonds finanzielle Mittel an Civilfleet-Support e.V. weiter, einem gemeinnützigen Verein zur Unterstützung der zivilen Seenotrettung. Hier ist neben der Aufarbeitung und Prozessvorbereitung auch die Kampagnenarbeit zur Wahrung der Rechte und Interessen der kriminalisierten Crewmitglieder der IUVENTA zum Großteil formal angesiedelt. Hierfür wird Beweismaterial für die Verteidigung der Betroffenen gesichtet, aufbereitet und archiviert, sowie zwischen betroffenen Besatzungsmitgliedern, Anwält:innen, und externen Stellen und Institutionen (u.a. ZDF, Amnesty International, UN-Sonderberichterstatter) vermittelt.
Der monetäre Beitrag des Sea-Watch Rechtshilfefonds ermöglichte die Fortführung aller oben beschriebenen Aufgaben zur Entkriminalisierung der Seenotrettung und ihrer Akteure im Jahr 2020. Denn: Seenotrettung ist eine Pflicht - kein Verbrechen.