Klage gegen Frontex vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH)
Der Sea-Watch Rechtshilfefonds (RHF) unterstützt eine spannende und wichtige Klage gegen die Europäische Grenzschutzagentur, die von Anwälten der Kanzlei Prakken d'Oliveira geführt wird.
Image credits: Gemma Pauwels
Die im Oktober 2021 eingereichte Klage wirft Frontex vor, gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung zu verstoßen und das Fehlen eines funktionierendes Beschwerdeverfahrens, um effektiv zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Der Fall handelt von einer kurdischen Familie, bestehend aus einem Mann, einer Frau und kleinen Kindern, die während des Bürgerkriegs aus Syrien geflohen sind. Nachdem sie die Türkei erreicht hatten, überquerten sie die Adria nach Kos, erreichten die Insel Milos und wurden dann nach Leros transferriert. Die Familie beantragte am 19. Oktober 2016 Asyl, wurde aber bereits am nächsten Tag nach Adana in der Türkei abgeschoben. Angesichts ihres Rechts Asyl zu beantragen, stellt diese Rückführung eine unrechtmäßige Zurückschiebung und einen Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung dar. Gemäß Artikel 33 der Flüchtlingskonvention von 1951, der auch Griechenland beigetreten ist, “darf kein Vertragsstaat einen Flüchtling in irgendeiner Weise an die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht wäre”. So heißt es auch in Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention heißt, die auch für Griechenland bindend ist.
Die Ermittlungen des Anwaltsteams ergaben, dass sowohl die griechischen Behörden als auch Frontex an dem Pushback mitgewirkt haben und direkt daran beteiligt waren. Dies war die Grundlage für die Einleitung der rechtlichen Schritte, um gegen die rechtswidrige Behandlung der vor dem Krieg fliehenden Familie zu protestieren.
Da es im griechischen Rechtssystem keine lokalen Rechtsmittel für Pushbacks gibt, bestand der erste Schritt der Anwälte darin, eine umfassende Beschwerde gegen Griechenland vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einzureichen. Dies ist ein langwieriger Prozess, der zum Zeitpunkt des Schreibens noch im Gange ist. Anschließend reichten sie am 1. Januar 2017 eine offizielle Beschwerde gegen den Grundrechtsbeauftragten von Frontex ein. Trotzdem blieb Frontex stumm. Am 17. Juli 2018, 1 1/2 Jahre nach der ersten Beschwerde, reichte das Anwaltsteam eine zweite Beschwerde ein, um die Unwirksamkeit des internen Überprüfungsmechanismus festzustellen. Nach 3 1/2 Jahren hat Frontex das Verfahren beendet. Die Agentur bestätigte dass fundamentale Rechte gebrochen wurden, wies jedoch jegliche Verantwortung den griechischen Behörden zu.
Im Rahmen der Vorbereitung bat das Juristenteam den RHF um Unterstützung in diesem Fall, der ersten Gelegenheit für den EuGH, die Verantwortung der nationalen Behörden und von Frontex zu klären. Mit dem Fall werden zwei Ziele verfolgt: Erstens soll aufgezeigt werden, dass Frontex es versäumt hat, seiner gesetzlichen Pflicht zum Schutz der Grundrechte, einschließlich der Nichtzurückweisung, nachzukommen, da es Beweise für die Verletzung des Rechts der Familie auf Asyl gibt. Zweitens soll Frontex dazu gebracht werden, seiner rechtlichen Verpflichtung zur Einrichtung und Umsetzung eines wirksamen Überwachungs- und Beschwerdesystems nachzukommen. Auf diese Weise wird Frontex für seine Verantwortung zur Rechenschaft gezogen, sicherzustellen, dass keine Abschiebungen stattfinden, die gegen grundlegende Menschenrechte - wie das Recht, Asyl zu beantragen - verstoßen. Eine positive Entscheidung wird andere, ungehörte Menschen, die auf See und an Land auf der Flucht sind, zu einer rechtlichen Vertretung ermutigen. Der Fall wird durch die Website der Kampagne Not on our Border Watch unterstützt.
Der Vorwurf, dass Frontex die Menschenrechte nicht einhält und achtet, und das Versäumnis, rasche, transparente und gründliche Ermittlungen bei mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen durchzuführen, haben dazu geführt, dass Frontex seit 2020 Gegenstand mehrerer Ermittlungsinitiativen ist. So verwies der UN-Sonderberichterstatter Felipe González Morales auf zahlreiche Eingaben zu Griechenland und der Beteiligung von Frontex an Pushbacks. Auch der LIBE-Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres der Europäischen Kommission betonte, dass “[Frontex] es versäumt hat, diese Verstöße [Vorwürfe von Grundrechtsverletzungen in den Mitgliedstaaten, mit denen es eine gemeinsame Operation durchführt] unverzüglich, aufmerksam und wirksam anzugehen und weiterzuverfolgen”. Obwohl die genannten Initiativen von großem Wert für die Tatsachenermittlung sind, fehlt ihnen die Durchsetzungsbefugnis. Daher hat sich ein Gerichtsverfahren vor einem neutralen und unparteiischen Forum als essenziell für die Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechtsstandards erwiesen, um die Verantwortung der nationalen Behörden und von Frontex abzugrenzen. Wir glauben, dass es an der Zeit ist, die systemischen Verfahrensschwierigkeiten bei der Vertretung von Fällen von Pushback und der Verletzung grundlegender Menschenrechte für Menschen auf der Flucht, anzugehen.
Spotlight Borders ist der Podcast vom Sea-Watch Rechtshilfefonds. Er ist an Menschen auf der Flucht und ihre Unterstützer*innen gerichtet. Der Podcast ist bis auf Weiteres nur auf Englisch verfügbar. Die erste Folge der Serie 1 über rechtliche Schritte gegen Frontex ist jetzt auf Spotify, Google Podcasts und RSS verfügbar.
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